Wahlkampf 98

 

Im Wahlkampf fällt auf, daß wir dabei sind, dem politischen Gegner einen möglicherweise entscheidenden Punkt kampflos zu überlassen: SPD (auch PDS) haben das Thema ‚Gerechtigkeit‘ auf ihre Fahnen geschrieben. Die CDU agiert und reagiert zu diesem Punkt nicht, bzw. zu wenig. Dadurch verbreitet sich im Wahlkampf der Eindruck, als wenn die Linken die Kompetenz zum Thema Gerechtigkeit besäßen. Ich bin bei Canvassings schon seit einiger Zeit wiederholt sehr kritisch zur Frage ‚Gerechtigkeit‘ angesprochen worden.

Für mich droht sich hiermit die Geschichte zu wiederholen: Anfang der 70iger konnte die SPD erfolgreich den Begriff ‚Chancengleichheit‘ thematisieren. Die CDU hatte damals viel zu spät und zaghaft mit dem Begriff ‚Chancengerechtigkeit‘ reagiert. Möglicherweise gab diese Diskussion damals den Ausschlag für die knappe Mehrheit der SPD. (Bei mir war das jedenfalls so. Als Arbeiterkind wußte ich, daß ich von der SPD Bafög bekomme. Bei der CDU erschien mir das sehr fraglich – und ich hatte auch den Eindruck, daß damit Konkurrenz an den Unis verhindert werden sollte.)

Damals wollte die CDU den Begriff –‚gleichheit‘ vermeiden und benutzte –‚gerechtigkeit‘. Die CDU behauptete, die Forderung der Sozis nach Gleichheit würde eigentlich sozialistische Gleichmacherei meinen. (Ich war darüber nie glücklich, da man auf diese Weise dem politischen Gegner eines der Ideale der französischen Revolution überließ, die ja den entscheidenden Schritt von der Feudalherrschaft zur bürgerlichen Republik in Europa erreicht hatte.) Aus der heutigen Berührungsangst mit dem Wort ‚Gerechtigkeit‘ könnte man schließen, daß das bei uns jetzt auch zum sozialistischen Kampfvokabular gezählt wird.

Wir brauchen das Wort auch auf unseren Plakaten oder zumindest in den Wahlreden. In Zeiten, in denen viele Leute arbeitslos sind, oder Angst davor haben, muß klar sein, daß wir für die Belohnung derjenigen sind, die ‚das Richtige tun‘ und wir jedem helfen, aus einer benachteiligten Ecke herauszukommen, wenn er das wirklich will.

                  


Karl Schmitt, 10. September 1998